Unconscious bias – wie Vergangenheit Zukunft bestimmt

Überall wird gerade über die Zukunft nachgedacht. Unerwartete Ereignisse zwingen uns dazu. Aber auch die Sehnsucht nach einer „wünschenswerten Zukunft“, in der Unternehmen agil und innovativ auf neue Bedürfnisse reagieren können, nachhaltig für Menschen und Umwelt wirtschaften und – natürlich – dabei finanziell erfolgreich sind.

„Think outside the box“ ist schnell gesagt. Trotzdem tappen viele Manager in die Falle, die Wissen, Überzeugungen und Erfahrungen ihnen unbewusst stellen. Wenn sie in der Falle sitzen, dann ist die Zukunft nur eine Fortsetzung der Vergangenheit – ein echter Wandel kann dann nicht stattfinden.

Der Begriff der ‚unconscious bias‘ beschreibt diesen Vorgang: gemachte Erfahrungen manifestieren sich und prägen unsere Art zu Denken, Probleme zu lösen, Innovationen zu erzeugen. Bevor also etwas wirklich Neues entstehen kann, müssen sich Menschen ihres Denkens selbst bewusst werden.

Gedanken vs denken

Eine erste wichtige Unterscheidung ist dabei, die Gedanken vom Denken zu trennen. Gedanken sind das, was pausenlos in unserem Kopf entsteht. Erinnerungen (an Vergangenes), Pläne (für Zukünftiges), Bewertungen, Interpretationen von Sinneseindrücken.

Während Sie diesen Artikel lesen, produziert Ihr Geist Gedanken. Sie erinnern sich an ähnliche Artikel. Sie überlegen, was Sie anders tun könnten. Sie bewerten diese Gedanken, sie interpretieren ihre Resonanz auf den Text (langweilig, interessant). Sie produzieren Gedanken, ohne dass Sie sich das selbst befehlen müssen – und die meisten sind Ihnen nicht einmal bewusst.

Gedanken sind das, WAS ihr Denken produziert.

Wenn Sie sich darauf fokussieren, dann können Sie sich Ihre Gedanken bewusst machen. Wenn Menschen beginnen zu meditieren, dann machen Sie schnell diese Erfahrung: Verrückt, was in meinem ‚Kopf los ist‘!

Aber wie geschieht das Denken?

Wie wir Gedanken bewerten und Sinneseindrücke interpretieren, hängt von unserer Geschichte ab. Sie beobachten eine(n) MitarbeiterIn im Team und bewerten das Verhalten sofort als positiv, negativ (oder neutral). Ein Problem taucht auf, Sie beginnen, über mögliche Lösungen nachzudenken (und greifen dabei auf vorhandenes Wissen und gemachte Erfahrungen zurück). Eine Kollegin äußert eine Idee, wie man das Problem lösen könnte – Sie denken darüber (bewusst) nach und bewerten (unbewusst).

Aber stellen wir unser Denken selbst und die cognitive biases in Frage? Ist uns bewusst, welche Schritte unser Denken nimmt, welche blinden Flecken es nicht berücksichtigt, welche Tabus wir umschiffen, welchen Überzeugungen wir folgen, welche Annahmen wir machen? Welche Heuristiken liegen unserem (schnellen) Denken zugrunde („Thinking, Fast and Slow“, Daniel Kahnemann)?

Unser Denken ist durch Retrospektive bestimmt

Wissen, Erfahrung, Überzeugungen, Annahmen – alles ist Retrospektive. Es mag uns helfen, zukünftige Probleme zu lösen oder Innovationen zu erzeugen. Vielleicht ist das neue Problem einem alten Problem ähnlich, das Sie lösen konnten. Vielleicht verfügen Sie über Wissen, das bei diesem Problem weiterhilft.

Was aber, wenn das Problem neu ist, einzigartig? Wenn sich der Kontext dramatisch verändert hat?

Mir gefällt folgendes Beispiel:

„Ein Expeditionsschiff macht sich auf, um neue Territorien zu erkunden. Auf dem Schiff arbeitet eine Mannschaft, angeführt vom Kapitän. Jeder in der Mannschaft hat eine Rolle, die seinen Erfahrungen und seinem Wissen entspricht. Die Struktur ist hierarchisch, es ist wenig Kommunikation nötig, um das Schiff zu beherrschen (bekannter Kontext).

Das Schiff gerät in einen Sturm und die Mannschaft strandet auf einer unbekannten Insel (neuer Kontext). Nun werden plötzlich neue Fähigkeiten gebraucht. Die Mannschaft braucht Trinkwasser, Feuer, Schutz, Nahrung – und Ideen, wie sie von der Insel wieder wegkommt. In dieser Situation steigt der Bedarf an Kommunikation, Vernetzung und Transparenz sprunghaft an.“

Im neuen Kontext spielen die alten Strukturen kaum mehr eine Rolle. Jede Idee zählt, und es ist egal, wer sie hat. Selbst der oder die Jüngste kann einen wichtigen Beitrag leisten, wenn er/sie Ideen (z.B. darüber, wie man Trinkwasser findet) beisteuert. Es braucht neue Gedanken – und neues Denken. Was auf dem Schiff oder zuhause funktioniert hat, spielt hier keine Rolle. Die Mannschaft wird vieles ausprobieren und erst danach bewerten: war es wirksam oder nicht. Aber wenn sie ihr Denken nicht ändert, dann kann sie nicht überleben.

Selten sind Manager ähnlichen existentiellen Krisen ausgeliefert. Meistens läuft das Geschäft noch gut, doch in der nahen Zukunft deutet sich ein Umbruch an: neue Wettbewerber tauchen auf, Kundenbedürfnisse ändern sich stetig, gesellschaftliche und ökonomische Trends bekommen zunehmend Einfluss. Das Neue ist greifbar.

Doch die Krise fehlt (noch).

In diesen Situationen ist es am schwierigsten, das Denken zu ändern – es geht (noch) nicht ums Überleben. Also versucht man (noch), mit bewährten Denkmustern gänzliche neuen Probleme und Herausforderungen zu begegnen. Wissen, Erfahrung, Überzeugungen und Annahmen bestimmen das Denken. Retrospektives Wissen.

Neue, innovative Herangehensweisen und Ideen werden (unbewusst) abgelehnt oder bekämpft. Dazu kommt: das bisherige Verhalten hat Manager erfolgreich gemacht. Sie sind dort, wo sie sind, WEIL sie Wissen und Erfahrung dorthin gebracht haben und Heuristiken etabliert haben, die schnelle Entscheidungen ermöglichen.

Es ist schwer, das nun in Frage zu stellen. Aber es ist nötig. Nicht nur neue Gedanken zulassen, sondern sogar die eigene Art des Denkens in Frage stellen und Heuristiken zu überprüfen. Eine neue Idee kann der Durchbruch sein, obwohl sie den eigenen Erfahrungen widerspricht, oder obwohl sie negative Gefühle hervorruft, beispielsweise Angst. Dieser Angst auszuweichen und doch wieder den alten Mustern zu folgen führt ins Verderben.

Unbewusstes Denken bewusst machen

In Workshops haben Facilitator mit diesem Phänomen zu tun. Ideen entstehen, und sofort werden diese bewertet (negativ, positiv). Die Rolle des Facilitators – oder einer Führungskraft – sollte es nun sein, das Denken selbst zu betrachten:

❓Vor welcher Art von Herausforderung stehen wir, ist sie mit retrospektivem Wissen und Erfahrung zu lösen? (bewusste Analyse)

❓Welche Erfahrungen, Überzeugungen und Annahmen lassen mich diese Idee positiv oder negativ bewerten? (cognitive bias) Siehe auch „50 cognitive biases in the modern world „

❓Welche Gefühle tauchen auf, wenn ich mich gedanklich auf diese Idee einlasse? (emotional bias)

❓Woher kommt dieses Gefühl? (unterbewusste Ebene)

Es erfordert von allen Beteiligten, sich des eigenen Denkens und der unbewussten Wertungen bewusst zu werden. Dabei hilft es, dieses sichtbar zu machen. Eine Gruppe von Mitarbeiter:innen könnten also zunächst auf der Meta-Ebene reflektieren, bevor Entscheidungen getroffen werden. Dazu haben wir The Unconscious Bias Reflection Map entwickelt.

Es ist wie bei der allseits bekannten Analogie des Eisbergs: der viel größere Teil dessen, was unser Handeln bestimmt, ist unbewusst. Verändern kann ein Mensch oder eine Gruppe nur das, was bewusst wird – und worüber man zu reden beginnt. Es ist ein Dialog nötig, der die verschiedenen Perspektiven aller Mitarbeiter und Mitarbeiterinnen im Team einlädt und integriert, ohne nach Falsch/Richtig oder Gut/Schlecht zu unterscheiden.

Besonders herausfordernd ist das dort, wo Status eine Rolle spielt: Personen mit High Status nehmen größeren Einfluss auf eine Gruppe – ihre Wertungen werden beachtet, ihre Ideen haben eine größere Chance, von der Gruppe akzeptiert zu werden. Sogar, wenn sie offensichtlich nicht die besten sind. In diesen Fall könnte eine Führungskraft entscheiden, nicht an einem Prozess der Problemlösung und Entscheidung teilzunehmen.

Gelingt all das nicht, dann tappen Gruppen in die anfangs erwähnte Falle. Die Zukunft wird unbewusst als Fortsetzung der Vergangenheit gedacht. Es gelingt nicht, Durchbrüche jenseits des Bekannten zu finden und die Zukunft zu gestalten.

Wenn sich Kontext ändert, dürfen sich nicht nur unsere Gedanken ändern. Wir müssen auch beginnen, unser Denken selbst zu reflektieren.

Weitere Ressourcen:

Laden Sie die Unconscios Bias Reflection Map samt Anleitung kostenlos herunter!

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Sehen Sie das Trainingsvideo über Unconscious, Cognitive und Emotional Bias und eine kurze Einführung in die Reflection Map.