Probleme lösen durch Perspektivwechsel

Ein wöchentliches Abteilungsmeeting. Auf der Tagesordnung steht ein bekanntes Problem. Bekannt, weil es zu der Sorte Problem gehört, die immer wieder auftauchen und nie wirklich gelöst werden. Nun stecken die immer gleichen Menschen ihre Köpfe zusammen und diskutieren (die immer gleichen) Lösungen. Alle wurden schon ausprobiert, keine davon hat je nachhaltig funktioniert. Es fehlt ein Perspektivwechsel.

Jeder Mensch repräsentiert eine Perspektive. Je nach Geschlecht, Bildung, kultureller Herkunft, persönlichen Erfahrungen, Überzeugungen und Werten ist diese Perspektive individuell geprägt und unterscheidet sich damit von den Perspektiven anderer.

Aus ihren individuellen Perspektiven blickt das Team nun auf das Problem und versucht, kreativ zu sein und mögliche Lösungen zu finden. Aber es gelingt nicht.

Warum?

Um kreative Problemlösungen zu erreichen – also Verbindungen herzustellen, wo bisher keine sind -, sind bestimmte Voraussetzungen nötig: psychologische Sicherheit, also eine Kultur, in der jeder sicher ist vor Beschämung, Verletzung oder Angriffen (Amy Edmondson) und deshalb in der Lage ist, auch ‚verrrückte‘ Ideen zu äußern, ohne das diese sofort beurteilt und bewertet werden; einen Zustand geistiger Entspannung und Spiellust; Diversität bei der Ideengenerierung und beim divergenten Denken (HBR).

Ein Weg, um die Spiellust anzuregen, bekannte, unbewusste Denkmuster aufzubrechen und neue Verbindungen herzustellen ist es, bewusste Perspektivwechsel einzunehmen. Wer immer aus der selben Richtung auf ein Problem blickt, erkennt nie das Ganze, und wenn alle alle Beteiligten auf der gleichen Seite des Problems sitzen, dann fehlt die Perspektive aus der gegenüberliegenden Seite.

Perspektivwechsel sind eine machtvolle Möglichkeit, um dem Denken eine neue Richtung zu geben. Coaching ist ein Prozess, in dem mit diesen Perspektivwechseln intensiv gearbeitet wird. Auch Teams und Führungskräfte können von diesem Mittel lernen und es adaptieren. Wir unterscheiden zwischen zwei Formen des Perspektivenwechsels:

Räumliche Perspektivwechsel

Alle kennen die Geschichte des Elefanten, den verschiedene Blinde berühren. Einer den Fuß, einer den Rüssel, einer den Schwanz etc. – und jeder der Blinden erzeugt eine andere Interpretation des Objektes. Keiner hat die Möglichkeit, das gesamte ‚Objekt‘ Elefant zu sehen, um ihn herumzugehen und sich ein komplettes Bild zu machen.

So begegnen viele Teams ihrem Problem: ihre Wahrnehmungen sind eingeschränkt, aber sie schaffen trotzdem eine Interpretation – die sie dann für die Wirklichkeit halten. Und – um in der Metapher zu bleiben – alle berühren den Fuß und halten das Objekt für einen Baum.

Perspektivwechsel helfen jetzt, mehr Wahrnehmung zu ermöglichen und weitere Interpretationen zu erzeugen. Im Dialog kann daraus sogar ein sehr umfassendes Bild entstehen.

Räumliche Perspektivwechsel entstehen, wenn sich jemand ‚in die Schuhe eines anderen‘ stellt. Ein Coach ermöglicht das durch kluge Fragen:

„Wie glauben Sie, denkt ihre Kollegin über das Problem?“
„Was denken Sie, empfindet ihr Chef in dieser Situation?“
„Zu welchen Schlussfolgerungen könnte ihr Partner kommen?“

Diese zirkulären Fragen leiten Perspektivwechsel ein, metaphorisch steht der Mensch von seinem Stuhl auf und setzt sich auf den Stuhl eines anderen – er wechselt seine Perspektive.

Dieser Stuhl kann sogar eine reale Bedeutung bekommen. In Coachingprozessen wird oft ein leerer Stuhl verwendet, der eine andere Person (oder einen anderen Persönlichkeitsanteil) verkörpert und auf den sich der Klient immer wieder setzt. So kann er sogar einen Dialog mit sich selbst führen, also zwei Anteile seiner Persönlichkeit miteinander in Kontakt bringen.

In einem Meeting könnte ein Stuhl reserviert werden für den Kunden oder die Persona, um die es geht. Der Stuhl wird zum Repräsentanten und kann von allen Teilnehmern auch wahlweise genützt werden, um die Perspektive des Kunden einzunehmen.

Nach der Service-Dominanten Logik (Vargo & Lusch) kann der echte Wert eines Services (oder einer Problemlösung) nicht gedacht werden, ohne den Nutzer als Co-Creator mit einzubeziehen. Wenn ein Team also zu keiner Lösung mehr kommt, dann fehlen wahrscheinlich wichtige Perspektiven. Diese Frage sollte dann im Team zunächst gestellt werden: „Welche Perspektive fehlt, um das Problem nachhaltig zu lösen und Wert zu schaffen (für den Nutzer)?“

Hier möchten wir eine weitere spielerische Methode vorstellen, die einem Team hilft, die Perspektive zu verändern: TRIZ, ein russisches Akronym das für ‚Methode für kreative Problemlösung‘ steht. TRIZ kann angesichts einer schwierigen Situation, eines Problems, einer Krise etc. angewendet werden und besteht aus drei Fragen (und zwei Perspektivwechseln):

1️⃣ Erstellen Sie eine Liste mit allen Dingen, die Sie tun können, um das schlimmste Ergebnis in dieser Situation (Problem, Krise, Konflikt) zu erzielen (erster Perspektivwechsel)

2️⃣ Was von dieser Liste tun wir bereits?

3️⃣ Was können wir tun, um diese destruktiven Dinge zu beenden? (zweiter Perspektivwechsel)

TRIZ überrascht, weil es eine völlig unerwartete Frage stellt, eine neue Perspektive anbietet und dadurch in den weiteren Schritten zu Handlungsoptionen führt. Es macht außerdem Spaß. Wenn Sie TRIZ kennenlernen und ausprobieren wollen, dann finden Sie hier eine Anleitung zu dieser Methode der kreativen Problemlösung.

Zeitliche Perspektivwechsel

Der zeitliche Perspektivwechsel ist eine andere Form, neu auf ein Problem zu blicken. Dabei nimmt ein Mensch oder eine Gruppe gedanklich eine Position in der Zukunft (oder Vergangenheit) ein und blickt auf Heute (das Problem). Der Blick aus der Zukunft ermöglicht jetzt, die nächsten Schritte zu sehen und wohin diese Schritte führen – in die Zukunft.

In vielen Workshops setzen wir das ein, um eine Vision für ein Team zu entwickeln, und nennen die Übung ‚Future Group‘. Dabei werden nehmen 2-3 Freiwillige im Team eine Position auf einer Seite des Raumes ein, die als ‚Zukunft‘ markiert ist, also einen Zeitpunkt in 3, 5 oder 10 Jahren.

Von dort blicken Sie nun auf die Situation heute, auf das Problem, auf eine latente oder akute Krise. Sie beginnen nun zu beschreiben, wie die Welt in 3,5 oder 10 Jahren sein könnte. Die Krise ist überwunden, das Problem ist gelöst. Wie sieht die Welt dann aus? Welche ‚wünschenswerte Zukunft‘ beschreibt die Future Group?

Im zweiten Schritt gehen sie gedanklich schrittweise zurück und beschreiben, was vorher geschehen ist, bevor diese wünschenswerte Zukunft Realität geworden ist. Welcher Schritt ist davor passiert? Und davor? Und davor? Bis sie schließlich beim Heute angekommen sind.

Im Coaching heißt eine Intervention ‚Wunderfrage‘ und funktioniert genauso: der Klient kommt mit einem Problem, und der Coach leitet nun einen Perspektivwechsel ein, vereinfacht mit der Aufforderung:

„Stell dir vor, du wachst morgen auf und das Problem ist verschwunden. Was genau hat sich verändert?“

Indem der Klient nun die konkrete Veränderung von Morgen auf Heute beschreibt, beginnt er, mehr Dinge zu sehen und neue Handlungsmöglichkeiten zu eruieren. Die Perspektive zu wechseln erweitert den Blick und macht uns (wieder) handlungsfähig. Neue Ideen und Lösungsansätze tauchen auf. Garantien gibt es keine, aber mehr Möglichkeiten.

Perspektive wechseln in Organisationen

Das oben beschriebene Team mit seinem altbekannten Problem könnte sich behelfen, indem es bewusst andere Perspektiven einnehmen. Eine:r könnte beginnen, zirkuläre oder provokative Fragen zu stellen:

„Wie würden unsere Kunden das Problem beschreiben? Ist es für Sie überhaupt ein Problem?“
„Wem dient dieses Problem eigentlich?
„Was vermeiden wir, indem wir dieses Problem nicht lösen?“

Die Gruppe könnte auch mit kreativen Strukturen arbeiten, um zu neuen Lösungen zu kommen, beispielsweise mit der oben erwähnten TRIZ Methode. Sie könnte zeitliche Perspektivwechsel vornehmen und aus der Zukunft auf das Problem (und seine Schritte zur Lösung blicken).

Zuletzt können Organisationen auch natürlich für mehr Perspektive sorgen, indem die Diversität im Team erhöht wird. Damit ist Diversität bezüglich Geschlecht, Herkunft, Kultur und anderen Faktoren gemeint, aber auch, mehr Disziplinen oder Funktionen für die Problemlösung zu gewinnen, also Cross-Funktional zu arbeiten und Mitglieder anderer Abteilungen einzuladen.

Ingenieure können davon profitieren, dass bei einem Problem je nach Bedarf andere interne Funktionen wie Sales Managerinnen, Marketers, Data Scientisten, ein Produktionsleiter oder eine Einkäuferin hinzugezogen werden. Oder Mitarbeiter aus verschiedenen Hierarchie-Ebenen gemeinsam an einem Problem arbeiten.

Hierarchische Silo-Strukturen sind für Organisationen der größte Verhinderer von kreativen Problemlösungen: sie verhindern neue Perspektiven, Diversität und Kreativität – übrigens bereits beschrieben in unserem Artikel darüber, „Warum Ihr Unternehmen geistiges Kapital verschwendet“

Weitere Ressourcen:

Perspektivwechsel mit TRIZ

Hier finden Sie eine Anleitung zu TRIZ samt Download unseres Templates.

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Ein Video, in dem Robert Lusch über Service-dominante Logik spricht.