Wie transformativ ist Transformationale Führung?

Ist die Transformationale Führung das Modell für die Zukunft? Unternehmen fast aller Größen und Branchen transformieren sich gerade – oder werden transformiert. Die Herausforderung von Organisationen besteht darin, Veränderungen hypersensibel wahrzunehmen (Außenwelt) und schnell in Handlungen bzw. Reaktionen zu übersetzen (Innenwelt). Business as usual reicht für diese Aufgabe nicht mehr.

Veränderung braucht Führung – da liegt es nahe, auch über neue Führungsansätze nachzudenken. Welche Form der Führung ist am besten geeignet, solche Transformationsprozesse zu begleiten? In einer kritischen Situation und konfrontiert mit einem neuartigen Problem (z.B. Pandemie, Künstliche Intelligenz, Klimawandel, Krieg) müssen Entscheidungen getroffen werden auf Basis von unsicheren Daten und hoher Dynamik. Führungsentscheidungen können sich nicht mehr aus (retrospektivem) Wissen ableiten. Führung in einer Transformation muss auf anderen Prinzipien aufbauen.

Man kann sich nun irreleiten lassen und die Transformationale Führung automatisch für den geeigneten Führungsansatz halten, schließlich steckt ‚Transformation‘ bereits im Begriff. Allerdings geht es in diesem Führungsmodell nicht um die Transformation des Unternehmens oder ganzer Märkte, sondern um die Transformation von Mitarbeitenden und deren Verhalten.

Ist es nicht das, was Organisationen anstreben? Wenn Führungskräfte davon sprechen, „die Menschen abholen und mitzunehmen“, dann ist damit meistens eine Veränderung von Denken und Handeln der Mitarbeitenden gemeint. Diese sollen ein Growth Mindset (noch so eine Phrase) haben und ein klares Bild über die Zukunft. Sie sollen selbstständig und eigenverantwortlich alles tun, damit das Unternehmen auch weiterhin erfolgreich bleibt. Sie sollen anstehenden Veränderungen offen und willig gegenüberstehen. Die Transformation des Verhaltens von Menschen scheint also ein sinnvolles Ziel zu sein.

Transformationale Führung ist ein Führungsansatz, der die Transformation des Verhaltens von Mitarbeitenden zum Ziel hat. Eine Führungskraft nützt dabei nicht mehr (nur) die bekannten extrinsischen Motivationen wie Gehalt oder Status, sondern versucht, die intrinsische Motivation der einzelnen Mitarbeiter:innen zu aktivieren. Die Persönlichkeit der Führungskraft selbst steht dabei im Mittelpunkt, und wie gut es ihm oder ihr gelingt, Beziehungen zu den einzelnen Menschen zu gestalten und diese zu einer Transformation zu bewegen.

Transaktionale Führung vs Transformationale Führung

Bevor ich in diesem Artikel auf die wichtigsten Merkmale der Transformationalen Führung eingehe ist eine Abgrenzung wichtig. Bass & Avolio (1994) beschreiben auch die transaktionale Führung als ein Modell, von dem sich transformationale Führung unterscheidet. Vereinfacht gesagt, beruht die transaktionale Führung auf einem Geschäft: Menschen leisten, weil sie dafür etwas bekommen (Gehalt, Status, Incentives).

Mehrleistung – die berühmte ‚Extrameile‘ – sind in dieser Transaktion jedoch nicht vorgesehen. Warum sollten Mitarbeitende sich stärker einbringen, wenn sie dafür keine Entlohnung mehr bekommen? In der extremsten Ausprägung führt transaktionale Führung zum bekannten ‚Dienst nach Vorschrift‘.

Hier setzt die transformationale Führung an. Sie geht von der Annahme aus, dass Menschen unter bestimmten Bedingungen zu mehr Leistung und Veränderung bereit sind. Diese Bedingungen werden im Folgenden beschrieben:

Einfluss durch Vorbild (Idealized influence)

Die Führungskraft wird als fachliches und moralisches Vorbild wahrgenommen und hat eine Persönlichkeit, die Vertrauen und Respekt erzeugt. In diesem Zusammenhang erläutert Bass die Rolle von Charisma und nennt eine Ableitung der Transformationalen Führung auch Charismatische Führung. Hier zeigt sich schon die erste Schwierigkeit. Was ist Charisma – und wie erlangt man es?

Natürlich lässt sich Charisma trainieren. Starke Rhetorik, klare Kommunikation, Symbole, Stories – alles kann dazu dienen, die Präsenz zu erhöhen und als starke Führungspersönlichkeit mit Charisma wahrgenommen zu werden. Leider gibt es auch unzählige Beispiele von charismatischen Persönlichkeiten, die manipulativ oder narzistisch sind.

In unserer Arbeit richten wir den Fokus deshalb auf Authentizität und lassen Führungskräfte ihre eigene Persönlichkeit reflektieren. Wer die eigenen Werte und Überzeugungen kennt, und auch, woher diese kommen, kann diese transparent kommunizieren, handelt gemäß den eigenen Worten und Werten und gibt Orientierung. Vertrauen kann man nicht befehlen. Vertrauen entsteht, wenn Führungskräfte kongruent handeln. Dabei ist es nicht wichtig, perfekt zu sein. Es ist wichtig, verlässlich und im eigenen Verhalten nachvollziehbar zu sein.

Motivation durch Inspiration (Inspirational motivation)

In Unternehmen wird viel getan, um die Notwendigkeit zu einer Veränderung dringlich zu machen. Kotter spricht vom ‚Sense of Urgency‘ als erste Phase eines Veränderungsprozesses. Die Krise wird beschworen. Daraus wird ein gewisser Zwang abgeleitet und die Veränderung als unausweichlich dargestellt. Das mag richtig sein.

Aber wieviel Zeit wird im Gegenzug dafür verwendet, ein wünschenswertes Bild der Zukunft zu zeichnen? Was ist nötig, damit Mitarbeitende eine Veränderung nicht als Bedrohung empfinden, sondern einen Sinn darin erkennen können? Die Transformationale Führung macht Inspiration zur Bedingung, damit Menschen einer Veränderung nicht widerstehen, sondern diese intrinsisch motiviert mitgehen – und dann nicht mehr mitgenommen werden müssen. Die Transformationale Führungskraft wird sich mit der Zukunft beschäftigen und eine Vision kommunizieren.

Statt Angst vor dem Verlust (Krise, Sense of Urgency) zu schüren liegt der Fokus auf der Lust am Gewinn (Vision einer wünschenswerten Zukunft). Vision ist ein großes Wort – es reicht oft schon, eine Vision oder Mission für das eigene Team, die Abteilung oder den Geschäftsbereich zu formulieren. Menschen sind motiviert, wenn ihre Arbeit anderen Wert schafft – das schafft in den Augen der Mitarbeitenden Sinn. Es braucht also nicht (nur) die große Unternehmensvision, sondern kleine Visionen für Verbesserung der Lebens- oder Arbeitsbedingungen von anderen.

Stärkung der Eigenverantwortung (Inspirational stimulation)

Die dritte Bedingung für Transformationale Führung ist die Stärkung der Eigenverantwortung der Mitarbeitenden. Jede Führungskraft wünscht sich Mitarbeiter:innen, die selbständig entscheiden und eigenverantwortlich handeln – und beklagt sich darüber, selbst in alle Entscheidungen eingebunden zu sein.

Die Transformationale Führungskraft ermächtigt Teams, selbst zu entscheiden, sorgt für die notwendigen Strukturen und Ressourcen stärkt die Handlungsfähigkeit der Mitarbeiter:innen. Aber vor allem unterbricht sie bewusst bestehende traditionelle Abhängigkeitsmuster. Mitarbeitende ‚brauchen‘ die Führungskraft für Entscheidungen, und Führungskräfte ‚brauchen‘ es, zu entscheiden. Schließlich leitet sich daraus ihre Legitimation ab. Wie oft werden Manager sogar als ‚Entscheider‘ bezeichnet?

In der Transformationalen Führung gelingt es Managern, psychologische Sicherheit herzustellen. Das schließt ein, dass Teams auch Entscheidungen treffend dürfen, die sich im Nachhinein als falsch oder nicht wirksam herausstellen. Aber solche Erfahrungen sorgen für Lernprozesse, Entwicklung und Verbesserung und erfüllen somit die Grundthese Transformationaler Führung – die Veränderung von Menschen.

Individuelle Förderung (Individualized consideration)

Die letzte Bedingung für erfolgreiche Transformationale Führung ist es, Mitarbeiter:innen individuell zu fördern. Traditionell wird Personalentwicklung an eine Abteilung der HR ausgelagert. Die Führungsarbeit in diesem Kontext beschränkt sich auf ein jährliches Entwicklungsgespräch, welches nicht selten von beiden Seiten eher als Ritual wahrgenommen wird.

Transformationale Führungskräfte machen die Entwicklung von Menschen zu einer der wichtigsten Aufgaben. Sie orientieren sich nicht an dem, was jetzt ist, sondern an dem, wie es zukünftig sein könnte. Sie suchen verborgene Talente, Stärken und Potentiale und überlegen, wie sie diese fördern können.

Führung findet aus einer Coaching-Haltung heraus statt. Statt also Anweisungen oder Entscheidungen zu liefern, stellt die Führungskraft kluge Fragen und fördert so die Eigenverantwortung und Autonomie des Mitarbeitenden – und entzieht sich der Neigung, Entscheidungen zu treffen.

Ist Transformationale Führung das Führungsmodell der Zukunft?

Reflektiert man die umfangreiche Literatur rund um Transformationale Führung, so scheint dieses Führungsmodell vielversprechend und zukunftsorientiert sein. Es liefert Visionen und soll die intrinsische Motivation der Geführten aktivieren. Es erhöht Eigenverantwortung und Selbstorganisation in Teams und fördert Stärken und Potentiale von Individuen.

Aber dieses Modell hängt – anders als traditionelles Management – viel stärker von der Persönlichkeit der Führungskraft ab. Wer sich nur oberflächlich mit Transformationaler Führung beschäftigt, der mag an seinem Charisma arbeiten, visionär auftreten und seine Präsenz durch diverse Techniken erhöhen. Aber eine nach innen gerichtete, reflektierende Auseinandersetzung mit der eigenen Führungsidentität und Persönlichkeit, den eigenen Werten, Überzeugungen, Glaubenssätzen muss nicht notwendigerweise stattfinden. Diese Führungskraft mag dann zwar visionär und charismatischer wirken wie zuvor, aber eine echte Reifung findet nicht statt. Hier wird die Grenze zur Manipulation überschritten.

Darüber hinaus gibt es Persönlichkeiten, die eher introvertiert sind, die großen Bühnen meiden, im Stillen aber sehr wirksam sind. Der Druck, Charisma entwickeln zu müssen, führt unweigerlich zum Verlust von Authentizität und Kongruenz – die von den Geführten wahrgenommen wird und das Gegenteil erreicht von dem, was Transformationale Führung verspricht.

Ein wesentlicher Kritikpunkt ist, dass sich das Paradigma, in welchem Führung stattfindet, nicht ändert. Das Statusgefälle zwischen Führungskräften und Geführten bleibt erhalten oder vergrößert sich sogar. Die Grundhaltung der Transformationalen Führung – Menschen können sich und ihr Verhalten transformieren – ist durchaus wünschenswert. Aber in diesem Denkmodell bleibt eine starke Führungspersönlichkeit notwendig.

Zuletzt liefert von der Oelnitz (1999) ethische Kritikpunkte: Werte und Überzeugungen der Mitarbeitenden sollen durch Transformationale Führung verändert werden. Ungeachtet, ob das überhaupt möglich ist, folgt dieser Gedanke doch ’nur‘ simplen ökonomischen Interessen und kann zu einer „Kommerzialisierung von Gefühlen“ führen (Hochschildt, 1990).

Zusammengefasst liefert das Modell der Transformationalen Führung wichtige Impulse für einen geänderten Fokus von Führung: hin zu mehr Selbstorganisation, Entwicklung von Potentialen, Visionen und Purpose formulieren. Doch das wesentliche Mittel, um das zu erreichen, ändert sich nicht – es hängt von der Führungspersönlichkeit ab und kann schnell zu Missbrauch führen.

Echte Selbstorganisation braucht auch Führung, aber eher im Sinne einer dienenden Führung, oder Führung wird in Teams geteilt im Rahmen von lateralen Führungsansätzen. Erst wenn Führung nicht mehr als Rolle, sondern als Funktion gesehen wird, die von jedem übernommen werden kann, erst wenn Führungskräfte mit der These arbeiten, sich selbst überflüssig zu machen und sich nicht selbst in seiner Rolle zu erhöhen – dann sind lebendige, agile Unternehmen mit einem neuen Führungsparadigma entstanden.

Fazit

Die Transformationale Führung liefert neue Impulse für die Führungsarbeit, die wichtig und wertvoll sind. Gleichzeitig erfordert sie eine noch stärkere Führungsrolle, wenn diese auch anders gelebt wird. Sie ist lediglich eine Weiterentwicklung der transaktionalen Führung mit anderen Mitteln, aber kein Paradigmenwechsel.

In diesem Sinne ist Transformationale Führung nicht transformativ – sie führt nicht dazu, dass sich das Verständnis von der Führungspersönlichkeit und Führungskultur grundlegend ändert. Wer das sucht, der sollte sich mit lateraler Führung, dienender Führung oder dialogischer Führung auseinandersetzen.

In unserem New Leadership Framework haben wir die wichtigsten Prinzipien aus 9 modernen Führungsmodellen zusammengefasst und in einem Whitepaper zum Download bereitgestellt.

Mehr lesen:

„Improving Organizational Effectiveness through Transformational Leadership“ (Bass & Avolio, 1994)

„Personalführung – Transformationale Führung im organisationalen Wandel: Ist alles machbar? Ist alles erlaubt?“ (Von der Oelsnitz, 1999)

„Das gekaufte Herz: Zur Kommerzialisierung der Gefühle.“ (Hochschild, 1990)