Was Schmerz über das Lernen lehrt

Seit ein paar Wochen mache ich regelmäßig Nordic Walking.

Ist das cool? Nein.
Kann man damit auf Parties angeben? Nope.
Und was es mit Lernen zu tun? Nun…

Angefangen hat es mit Schmerzen. Monatelang haben mich Kopfschmerzen geplagt, mehrmals die Woche und oft über mehrere Tage.

Der Arzt konnte nichts feststellen außer extrem verspannter Muskulatur in Nacken und Schultern. Diese Verspannungen lösen die Kopfschmerzen aus. Ein bisschen halfen Magnesium und manchmal auch Schmerzmittel, aber ich wollte den Ursachen auf den Grund gehen.

Mein Arzt bot mir an, zwei Wochen für eine intensive Schmerztherapie in einer Klinik zu verbringen. Dort könnte ich an den Ursachen der Schmerzen arbeiten und diese mit Hilfe neuer Übungen beseitigen: Entspannungstechniken wie Meditation oder progressive Muskelentspannung, Körperübungen, Muskelaufbau, Bewegungsübungen und vieles mehr.

Insgesamt nahm ich in 16 Tagen an ungefähr 45 Einheiten teil. Eine davon war Nordic Walking. Erst habe ich gezögert. Nordic Walking war in meinen Augen etwas für ältere Menschen (ich bin zwar 50 Jahre, aber älter sind immer die anderen), Rentner mit viel Zeit, die etwas für ihre Gesundheit tun wollen. Nicht schlecht, aber auch nichts, mit dem ich mich identifizieren konnte. Schließlich bin ich Jogger, Radfahrer und habe früher sogar jahrelang geboxt.

Nun also Nordic Walking auf den Klinikgelände, zusammen mit anderen Schmerzpatienten.

Schon nach der ersten Stunde merkte ich: das tut gut. Schultern und Nacken entspannen sich, der Schmerz verschwindet, ich bin locker und beweglich.

Die Erfahrung wiederholte sich mehrmals.

Was passierte, als ich wieder daheim war? Ich machte meine Übungen, meditierte wieder und fühlte mich besser. Aber nach ungefähr zwei Wochen wachte ich morgens wieder mit Kopfschmerzen auf. Ich erinnerte mich an das gute Gefühl nach dem Nordic Walking, nahm meine Stecken und lief los.

Nach einer Stunde waren die Schmerzen verschwunden. Auch diese Erfahrung machte ich mehrmals.

Bald wurde Walking zur Routine, heute gehe ich 4-5 mal pro Woche walken. Nicht nur, wenn ich Schmerzen habe, sondern auch, weil es einfach gut tut: Pause machen, frische Luft atmen, bewegen.

Und was hat das mit Lernen zu tun?

Hätte mir jemand erklärt, dass Nordic Walking gesund ist, dann hätte ich dem zugestimmt – es aber nicht getan. Etwas kognitiv verstehen löst noch lange keine Verhaltensänderung aus, oder?

Es brauchte den Schmerz als Auslöser. Und – noch wichtiger – die Erfahrung. Ich habe körperlich erfahren, dass es gut tut. Und diese Erfahrung machte ich mehrmals.

Beim Design unserer Workshops und Trainings ringen wir genau darum: den Schmerz (Herausforderungen, Probleme, Konflikte) zu finden und den Führungskräften eine neue Erfahrung zu ermöglichen.

Etwas erklären reicht nicht. Erst die positive Erfahrung kann eine Verhaltensänderung auslösen. Der Gewinn (Schmerz verschwindet, Entspannung und Beweglichkeit nimmt zu) durch die Änderung muss höher sein als der Aufwand (Zeit nehmen, losgehen, schlechtes Wetter aushalten).

Und noch eine Erkenntnis: ich hätte dieses gute Gefühl schon viel früher haben können. Im Weg stand mir das Bild und das Urteil, das ich mir von Nordic Walking gemacht habe (für alte Menschen, langweilig, nicht cool).

Wie oft halten uns Vorurteile oder ein vermeintlich schlechtes Image von einer signifikanten Veränderung und Entwicklung ab?

Wie oft ändern wir etwas NICHT etwas aus Angst davor, uns lächerlich zu machen?

Wenn Veränderung über die Erfahrung geht, dann müssen wir immer wieder die bekannte (und oft schmerzhafte) Welt loslassen. Wir müssen uns bewusst neuen Erfahrungen aussetzen. Und wir dürfen diese erst danach beurteilen.

Das ist mein Lernprozess:

Schmerz – neue Erfahrung – nachhaltige Veränderung